Die Museen erzeugen derzeit große Mengen an Digitalisierungsdaten, doch was passiert weiter damit? Was genau ist die Intention und wie erreichen Sie digitale Besucherinnen und Besucher? Die Daten müssen höchsten Ansprüchen an Visualisierung und Integrität genügen und stehen durch eine sinnvolle Indexierung einer globalen wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung. Gleichzeitig wächst aber auch das Bewusstsein, dass digitale Museumssammlungen als wesentlicher Teil des kulturellen Erbes auch der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden müssen. Ähnlich wie die verstaubten Regalordner eines Papierarchivs ist jedoch eine umfassende digitale Datensammlung für eine breite Öffentlichkeit wenig attraktiv. Eine unterschiedslose Vollzugänglichkeit würde wiederum die tatsächliche Nutzung auf Forscher, Kuratoren und Liebhaber beschränken und noch lange nicht zu Interaktion und Partizipation führen.

Von Digitalisiaten zur Hyperkontextualisierung

Wie Johannes Bernhardt in Creative Collections schreibt, ist die Digitalisierung von Museumsbeständen eine notwenige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für digitale Partizipation. Wie aber können die Datensätze so aufbereitet werden, dass sie tatsächlich ein breiteres digitales Publikum ansprechen – sei es durch digitale Kurator*innen, aber auch durch Algorithmen und künstliche Intelligenz? Für eine neue Form der digitalen Vermittlung braucht es mehr als eine Verschlagwortung. Hier kommt es auf eine intelligente Kontextualisierung und konsequente Hypertextualisierung an. Besucher*innen sollen spielerisch von einem Objekt zum nächsten und assoziativ von einer Geschichte zur nächsten geführt werden. Und schließlich sollte das Museum ein Interesse daran haben, Besucher*innen individuell kennenzulernen, um interessengeleitet passende Objekte und Themen vorschlagen zu können. Amazon, LastFM und Spotify können das schon lange, und seit kurzem schlagen auch Universitätsbibliotheken auf Basis der Ausleihe und Recherche weitere Bücher vor.

Von Unidirektionalität zu Interaktion

Das führt direkt zur nächsten Stufe: Die Nutzerinnen und Nutzer sollen auch ihren eigenen Beitrag leisten können. Möglichkeiten für diese Interaktion wären eine Art Museums-Wiki oder ein geschlossenes soziales Netzwerk. Doch hier beginnt die Angst des Museums, seine Deutungshoheit zu verlieren. Zu Recht? Vor 22 Jahren hat niemand geglaubt, dass es eine Enzyklopädie geben könnte, die von praktisch jedem geschrieben wird. Ein solches Interaktionsprojekt kann aber erst dann zum Leben erwachen, wenn einerseits Ressourcen und Daten zur Verfügung stehen und andererseits eine relevante Anzahl von Mitwirkenden vorhanden ist. Dies ist ein großes Hindernis: Nur wenige Museen sind groß genug, um eine solche interaktive Präsentation allein zu betreiben und eine dauerhafte Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen würde einen hohen zusätzlichen Koordinationsaufwand erfordern. Auch hier wäre die Crowd gefragt, um Verbindungen sichtbar zu machen oder herzustellen. Das Sammeln und Forschen und Bewahren als weltweites kollektives Alleinstelungsmerkmal des Museums wird noch zu wenig in Szene gesetzt.

Wir werden digitale Museumssammlungen interessant?

Im deutschsprachigen Raum gibt es unterschiedliche Ansätze zur öffentlichen Zugänglichkeit digitaler Museumssammlungen: Wir finden mit museum-digital.de ein sehr experimentelles und informelles Digitalisierungsnetzwerk, in das Museen digitale Bestände in unterschiedlicher Qualität und Umfang einbringen. Viele Museen stellen jedoch ihre Sammlung selbständig im Rahmen Ihrer Webpräsenz online. Vermutlich sind es zumeist aber nur größere oder kleine Teile davon, was jedoch selten transparent offengelegt wird. In den meisten Fällen handelt es sich noch nicht einmal um eine richtige Präsentation: Eine Beschriftung, die sich wie bei der Beta Version der Online-Sammlung des Wiener Kunsthistorischen Museums auf die technischen und chronologischen Daten mit einem erklärenden 3-Zeiler beschränkt, ist für den digitalen Besucher wenig attraktiv. Es gibt jedoch eine – kuratierte? – Verknüpfung mit verwandten Gemälden, dazu die einfachst mögliche automatische Verknüpfung nämlich nach der Jahreszahl, die immerhin zu erstaunlichen Erkenntnissen der Gleichzeitigkeit führt. Bei Tizians berühmter Kirschenmadonna von 1516 wird ein noch sehr mittelalterlich anmutender deutscher Schnitzaltar des gleichen Jahres ausgeworfen und über die Ergebnisse aus dem Münzkabinett, die aufgrund des schieren Umfangs der Teilsammlung immer wieder auftauchen, sehen wir, dass in deutschen und habsburgischen Landen gerade Maximilian I., der „letzte Ritter“ herrschte. Die Frage bleibt dennoch: Was bedeuten diese Befunde und für wen sind sie interessant?

Einen Schritt weiter geht das Badische Landesmuseum, das die online gestellten Digitalisate auch nicht „Sammlung“, sondern vielleicht zutreffender „Digitaler Katalog“ nennt. Durch die „Stöbern“-Funktion kann man sich auf Entdeckungsreise begeben. Ausklappbare Texte bieten je nach Wahl mehr oder weniger Erklärung. Und auch mit den angegebenen Schlagworten kann man sich weiterhangeln. Das Bildmaterial steht schließlich den Nutzer*innen unter der creative commons Lizenz CC0 zur vollkommen freien Verfügung, selbst für Veränderung und kommerziellen Nutzung.

Wie man noch weiter gehen kann, zeigt ein Blick in die Niederlande. Nach wie vor einzigartig, empfängt die browserbasierte Rijksstudio-Anwendung des Rijksmuseums Amsterdam Besucher*innen mit kleinen Objektsets – etwa 4 bis 10 Werke, manchmal auch ein paar mehr –, um die sich eine Geschichte rankt. Diese verwirrenderweise auch „Rijksstudios“ genannten Sets sind Mini-Ausstellungen, die gerade lang genug für die digitale Aufmerksamkeitsspanne von ein paar Minuten sind. Die Rijksstudios können personalisiert erstellt werden. Mit dem Master Matcher werden individuelle Vorschläge für Objekte ausgeworfen. Eigene Präferenzen müssen noch manuell eingegeben werden, anstatt von einem Algorithmus bewertet zu werden. Wie könnten Methoden der Mustererkennung auf Objektbasis eingesetzt werden und mit Präferenzen von Nutzer*innen, die sich aus seiner Interaktion und Partizipation ergeben verknüpft werden? Hier wäre ein Ansatz für KI-Anwendungen, die Objekteigenschaften mit Nutzerpräferenzen verknüpfen.

Auf dem Weg zu einer digitalen Kunstgeschichte

Nicht nur Digitalisierungen von bestehenden Sammlungen auch zunehmend digitale Werke und Sammlungen werden sich von der bekannten Zweidimensionalen Katalog-Variante in einer Welt der digitalen Möglichkeiten neu verorten. Sammler*innen zeitgenössischer Kunst versuchen mit neuen, interaktiven Formaten, ihren Online-Sammlungsbestand zugänglich zu machen. Die Kunstform des Happenings erlebt ein Revival in einer neuen Form. Sammler*innen und Künstler*innen kommen ins Gespräch und lassen das Publikum daran teilhaben, die virtuelle Ausstellung wird zum Happening im Metaverse. Ob das nur pandemiebedingte Ausnahmeerscheinungen waren? Auf jeden Fall experimentieren Künstler*innen wie Sammler*innen mit den neuen Möglichkeiten. Sie sind daher Vorboten auch für eine digitale Kunstgeschichte. Das ist ein Thema für nächstes Mal.

Einladung zur Digital Literacy FocusGroup am 20.09.2022

Welche Stränge der digitalen Entwicklung sind in Euren Museen wichtig, was wollt ihr noch entwickeln, was steckt fest, was wird angenommen, was nicht und was hat sich sogar schon als obsolet erwiesen? Diskutiere mit uns bei unserer Digital Literacy Focus Group am 20. September 2022, online von 16:00 bis 19:00, zu der wir die Digital Literacy Expertin Verónica Donoso eingeladen haben. Dank der Förderung durch Bundes-Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz können wir eine kostenfreie Teilnahme ermöglichen.

Kostenfreie Anmeldung und Teilnahmelinks unter team@museumhub.de.